Freiheit

Predigt zu 2. Kor. 3,17+18:

"Der Herr aber ist Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Wir alle aber spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit von dem Herrn aus, welcher Geist ist."

Freiheit ist ein zentrales Thema des neuen Testaments und ein zentrales Thema unseres persönlichen Lebens und unserer heutigen Gesellschaft, vor allem bei uns in der westlichen Welt, die zugleich die christliche Welt ist.

In welchem Kontext steht die Aussage über Freiheit in 2. Kor. 3,17? Paulus vergleicht in diesem Abschnitt sein Wirken direkt mit jenem von Moses. Das wirkte sicher damals auf viele arrogant und überheblich. Sein Anspruch ist aber Ausdruck der ungeheuren Grösse und des zeitenwendenden Charakters der verkündeten Botschaft. Moses war der Diener des Alten Bundes und Paulus ist der Diener und Verkünder des Neuen Bundes, der in der Person von Jesus Christus verkörpert ist.

Was ist der Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Bund, zwei Verträgen mit je den gleichen Parteien, Gott auf der einen und die Menschen auf der andern Seite? Paulus erklärt den Unterschied in einem sehr schönen Bild: Im Alten Testament wird berichtet, dass das Gesicht des Moses leuchtete, als er von der Offenbarung des Wortes Gottes auf dem Sinai mit den beiden Gesetzestafeln zurückkam (2. Mose 34, 29ff.). Nach der Vorlesung des Gesetzes musste er eine Decke über sein Gesicht legen, damit dieser Glanz nicht blendete. Es ist das Licht Gottes, das leuchtet. Die Leuchtkraft des Lichts Gottes beim Vorlesen des Gesetzes ist von solcher Stärke, dass eine Decke über den Kopf des Vorlesers gelegt werden muss. Das Gesetz als Gegenwart Gottes ist ein greller Scheinwerfer, in dessen Licht alle unsere Unvollkommenheiten, alle Runzeln, Flecken, Pickel und Unreiheiten, kurz das ganze Elend unserer sündigen Existenz sichtbar wird und wir als "gewogen und zu leicht befunden" untergehen müssten.

Dem stellt Paulus das Licht des neuen Testaments gegenüber. Dieses Licht hat eine neue Qualität. Es leuchtet nicht die hässlichen Details unserer Unzulänglichkeit aus, sondern es leuchtet derart stark, dass wir selbst strahlen und wir wie Mose das Licht Gottes zu spiegeln beginnen, so dass in und aus unserem Gesicht die Herrlichkeit Gottes sichtbar wird. "Wir alle aber spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit..." Es ist hier nicht das grelle Licht der schonungslosen Enthüllung, sondern das warme Licht der Gnade, das uns eine neue Identität, ein neues Selbstverständnis und ein neues Leben gibt.

Hier wird deutlich, warum Paulus in diesem Zusammenhang von Freiheit spricht: Die Decke, die über der Vorlesung des Gesetzes liegt, ist das Zeichen der Gefangenheit der eigenen Verfehlungen, die durch das Gesetz sichtbar werden, durch das Gesetz, das schonungslos jeden Verstoss registriert und sanktioniert. Auf der andern Seite ist das Spiegeln der Herrlichkeit Gottes der Inbegriff der Freiheit. Dieses Spiegeln hebt unsere Beschränkung durch unsere eigenen Unzulänglichkeiten auf und überstrahlt alles mit der Herrlichkeit Gottes.

Diese Freiheit ist der Kern der Botschaft des Neuen Testaments. "Ihr Brüder, wir sind nicht Kinder der Sklavin, sondern der Freien. Für die Freiheit hat uns Christus frei gemacht; darum stehet fest und lasset euch nicht wieder unter ein Joch der Knechtschaft bringen!" (Gal. 4,31-5,1). Dieser Ruf zur Freiheit ist das Revolutionäre, das die ungeheure Überzeugungskraft des "neuen Weges" wie das junge Christentum genannt wurde, ausmachte. Für das neutestamentliche Verständnis der Freiheit ist klar, dass die Freiheit nur in der Gnade und Liebe Gottes gegründet sein kann und dass Freiheit und Liebe sich gegenseitig voraussetzen und bedingen. "Denn ihr seid zur Freiheit berufen, ihr Brüder. Nur lasset die Freiheit nicht zu einem Anlass für das Fleisch werden, sondern dienet einander durch die Liebe! Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, nämlich in dem: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst'." (Gal. 5,14+14).

Frei sind wir dann, wenn wir lieben. In diesem Zusammenhang liegt meines Erachtens ein tiefes Geheimnis. Wenn wir im persönlichen Gebet vor Gott treten, müssen wir vielleicht weniger um diese und jene Freiheitsoption beten, sondern darum, dass Gott unser Herz, unser ganzes Wesen mit Liebe erfüllt. Und dann können wir uns überraschen lassen, welche Wirkung das hat.

Paulus bringt die Sache im Römerbrief (Kap. 6) noch auf andere Weise auf den Punkt. Die menschliche Wahlmöglichkeit besteht nur darin, entweder Knecht der Sünde zu sein oder Knecht Gottes. Knecht Gottes sein heisst frei sein. "Befreit von der Sünde seid ihr der Gerechtigkeit dienstbar geworden. ... Wie ihr eure Glieder dem Dienst der Unreinheit und der Gesetzwidrigkeit zur Ausübrung der Gesetzwidrigkeit hingegeben habt, so gebt jetzt eure Glieder dem Dienst der Gerechtigkeit hin zur Heiligung. Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei gegenüber der Gerechtigkeit. ... Jetzt hingegen, da ihr von der Sünde befreit, aber Gott dienstbar geworden seid, habt ihr eure Frucht für die Heiligung und als das Ende das ewige Leben." (Röm. 6, 18-22).

Frei sind wir dann, wenn mit dem Geist Gottes erfüllt sind, wenn wir mit Liebe erfüllt und liebesfähig sind, wenn wir dazu befreit worden sind, das zu tun, was dem Willen Gottes entspricht, "das Gute, das Wohlgefällige und Vollkommene", wie es in Röm. 12,2 heisst, wenn wir unser Leben als ein "lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer hingeben, wie es am gleichen Ort heisst, wenn unser Leben ein "vernunftgemässer Gottesdienst" ist.

Dieses Freiheitsverständnis ist den meisten von uns vertraut, die schon länger den Versuch unternehmen, ihr Leben bewusst im Glauben an Jesus Christus zu gestalten. Es ist uns aber auch klar, dass die so verstandene Freiheit in einem gewissen Spannungsverhältnis steht zu dem, was landläufig bei uns mit Freiheit in Verbindung gebracht wird. Spannungsverhältnis heisst aber nicht notwendig Gegensatz. Ich bin zu tiefst überzeugt, dass die Freiheit des Neuen Testaments die Grundlage ist, um überhaupt in anderem Zusammenhang von Freiheit zu sprechen.

Nehmen wir zum Beispiel die politische Freiheit. Wir sind ja stolz darauf, in unserer christlichen westlichen Welt die Menschenrechte und besonders die Freiheitsrechte verwirklicht zu haben. Eigentum, Handels- und Gewerbefreiheit, Meinungsäusserungsfreiheit, Religionsfreiheit, Niederlassungsfreiheit usw. Das sind alles Errungenschaften, die nicht im Gegensatz zur christlichen Freiheit stehen, sondern diese vielmehr als Fundament voraussetzen. Wir stehen heute an kritischen Wegmarken, wo der Missbrauch der Freiheit die Freiheit bedroht, wo aber auch die Angst um die Freiheit – siehe zunehmende Polizeistaatmentalität im Gefolge der Terroranschläge in New York – zu einer Bedrohung der Freiheit wird. Das Beste, was wir zur Verteidigung der Freiheit machen können, ist meines Erachtens der Ruf zur Umkehr, der Ruf, das Leben als Gottesdienst im Sinne von Röm. 12 zu gestalten.

Oder nehmen wir die Freiheit im gesellschaftlichen und persönlich-ethischen Sinn. Wir Christen sind ja mitunter den frömmeren jüdischen Gläubigen gegenüber stolz auf unsere Freiheit von tausend Vorschriften, wir müssen ja nicht milchiges und fleischiges Geschirr unterscheiden und können ruhig unser Schinkensandwich mit Butter geniessen, und die liberaleren Christen fühlen sich den ganz frommen gegenüber auch erhaben, weil sie meinen, der Gottesdienstbesuch am Sonntagvormittag sei nicht heilsnotwendig. Wir haben hier ja in der Tat unsere Freiheit. "Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat" hat Jesus gesagt. Wir sind nicht mehr an die umfassenden Reinhaltungsvorschriften des Alten Testaments gebunden, weil wir ja eine moderne Medizin haben.

Aber das Nicht-Lügen gehört meines Erachtens nach wie vor zu den notwendigen Spielregeln für unser Leben, ich habe bislang trotz dem Dauerfeuer des Zeitgeistes, der Notlügen für jede Bagatelle propagiert und das Lügen generell verharmlost, vor allem feststellen können, dass Lügen zu Vertrauensverlust führt und nicht nur seelischen Wunden verursacht, sondern auch mit handefesten und in Milliarden Dollars zu rechnenden volkswirtschaftlichen Schäden verbunden ist. Wir sind frei, wenn wir das Gebot halten, und wir sind unfrei, wenn wir es nicht tun.

Und nehmen wir weiter das, was seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Gegenwelt 1989 immer krasser zum alleinigen Inbegriff der Freiheit geworden ist: der materielle Besitz und die Möglichkeit, dank seinem Geld die ganze Welt zu Füssen zu haben. Auch das ist ein Stück echte Freiheit. Wir alle, die wir hier sind, kennen ja keine echte Armut, aber wir alle wissen auch, dass wir lange Freiheit predigen können, wenn die materiellen Grundlagen für die Ausübung der Freiheit fehlen. Armut macht unfrei. Wir kennen bei uns den Begriff der Neuen Armut und der Working Poor, zynischerweise sind vor allem alleinerziehende Frauen mit minderjährigen Kindern betroffen.

Das gesellschaftlich ebenso grosse Problem ist aber unsere Knechtung durch den Mammon. Alles giert nach Geld und Gold, nach Konsum und Luxus und um das Ganze auf bigotte Weise zu kaschieren wird dann mit Fingern auf die Manager gezeigt, die das genau gleiche einfach etwas skrupelloser, unethischer oder erfolgreicher gemacht haben. Da wird deutlich, was mit Knechtschaft der Sünde gemeint ist. Es ist wirklich Gnade, wenn wir hier nein sagen können und in Einfachheit fröhliche Christen sein können, die sich nicht in Neid und Eifersucht nach den Gütern dieser Welt verzehren.

Und ein letztes möchte ich noch thematisieren. Das Problem der Freiheit stellt sich auch in unserem Arbeitsalltag.

In welcher Lage befinden wir uns? Haben wir einen Job, der uns gefällt, Kollegen, mit denen wir uns gut verstehen, können wir uns entfalten und finden wir Anerkennung in dem, was wir tun? Stimmt der Lohn, den wir kriegen? Oder ist das Gegenteil der Fall. Haben wir interessante Projekte abgeben müssen, für die wir uns hätten aufopfern können? Ernten wir nichts als Kritik und Missstimmung für unseren Einsatz, oder fast noch schlimmer: arbeiten wir tage- und wochenlang ohne je ein Feedback zu erhalten? Haben wir keinen echten Freund in unserer Abteilung, oder werden wir gar gemobbt? Haben wir gemerkt, dass der faule Kerl nebenan, der nie Überstunden macht und die Sache recht locker nimmt, 500 Franken mehr verdient im Monat als wir?

Wir erleben das Thema Freiheit und Unfreiheit wohl nirgends so hautnah wie einerseits in der Familie und anderseits im Beruf bzw. am Arbeitsplatz. Bei guter Arbeitsmarktlage und wenn man jünger ist oder keine finanziellen Verpflichtungen hat, ist man freier. Den unsympathischen Chef und die ewigen Sparrunden, die man nicht mehr ausstehen kann, bringt man dann mit einem kurzen Satz los: "Es freut mich ihnen mitzuteilen, dass ich meine Anstellung beim Kanton per 31. Juli 2003 kündige."

Aber nicht wenige Mitarbeitende in unserem Kanton sitzen in der Falle. Sie haben keine Alternative zur gegenwärtigen Stelle und haben doch innerlich bereits gekündigt. Sie sind damit in einer echten Unfreiheit gefangen und fühlen sich ausgebrannt und haben keine Perspektive. Ich meine, dass auch da die Freiheit, die Christus verleiht, die einzige echte und wahre Freiheit ist.

"Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Wir alle aber spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit von dem Herrn aus, welcher Geist ist." Diese Botschaft muss in einer Arbeits- oder Berufssituation, wie soeben dargelegt, am Anfang stehen.

Wo ist denn der Geist des Herrn? Er ist da, wo ich im Gebet vor Gott stehe und da, wo ich Brüder und Schwestern habe. Also kann ich als erstes mich im Gebet an Gott wenden. Ich darf ja zu Gott reden, wie wenn er ein Mensch wäre und ihm alle meine Nöte und Bitten darlegen. Und ich kann mich zweitens umsehen nach einem Freund oder einer Freundin, nach Brüdern und Schwestern, und ihm oder ihnen meine Situation anvertrauen, so dass wir gemeinsam nach Lösungen suchen können.

Und ich kann schliesslich die innere Freiheit wieder erlangen. Die innere Freiheit habe ich, wenn meine Gedanken nicht mehr um meine missliche Situation, meine ungeliebte Arbeit und meinen zu tiefen Lohn kreisen, sondern wenn mein Herz wieder mit Liebe, Freude und Freiheit erfüllt worden ist und ich wieder etwas von dem spüre, dass ich ja dazu berufen bin, die Herrlichkeit Gottes zu spiegeln. Und da kann Gott Wunder bewirken. Auf dieser Basis werde ich wieder handlungsfähig. Plötzlich schneit es wieder einen Auftrag herein, an dem ich echt Freude habe.

"Zur Freiheit hat uns Christus frei gemacht. So steht nun fest, und lasst euch nicht wieder unter ein Joch der Knechtschaft bringen." Diese Wort wollen wir mitnehmen aus diesem Gottesdienst, es in unseren Gedanken behalten und darüber nachsinnen. Und uns auch immer wieder bewusst sein, dass wir ein Spiegel der Herrlichkeit Gottes sind, ein Spiegel, der manchmal etwas getrübt ist oder gar unter einem Tuch verborgen, aber immer ein Spiegel und ein Abbild seiner Herrlichkeit. Und in dieser Gewissheit und Berufung können wir ein Leben in echter Freiheit führen.

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