Vergebung

Math. 6.12: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“

(5. Bitte des Vater Unser)

(Der Text ist teilweise stichwortartig formuliert.)

Schuld und Vergebung sind zentrale Themen der Bibel.

Der Mensch hebt sich nach biblischem Verständnis von der übrigen Natur durch seine Handlungsfreiheit ab. Die Last der Freiheit ist es, dass das eigene Tun verantwortet werden muss vor dem, der die Freiheit gegeben hat. Unser Handeln steht in Übereinstimmung mit den Spielregeln, die der Schöpfer des Menschen und seiner Freiheit uns Menschen gegeben hat, oder es steht im Widerspruch dazu. Unser Handeln steht im Einklang mit den Wünschen und Interessen der Mitmenschen oder es steht im Widerspruch dazu.

Daraus ergibt sich die Schuldproblematik.

Im Alten Testament: Schuldproblematik zunächst als direkte Verantwortung gegenüber Gott. Bund mit Gott und Einhaltung dieses Bundes. Dann mit Mose: Gesetz, Schuld und Sühne durch Gesetz geregelt, Gesetz mit seinen zwei Gesichtern: Verhaltensregel auf der einen, Sanktionen auf der andern Seite. Sanktionsseite wiederum mit zwei Komponenten: Strafe und Opfer. vgl. ausgedehnte Opfervorschriften im 3. Mose (Leviticus).

Exemplarisch kommt Schuld- und Sühneproblematik in der Feier des Versöhnungstages (Jom Kippur, nach jüdischem Kalender jeweils im Herbst, September / Oktober) zum Tragen, vgl. 3. Mose 23, 27ff. bzw. 3. Mose 16, 20ff: "Dann soll Aaron beide Hände auf den Kopf des lebenden Bockes stützen und über ihm alle Verschuldungen und alle Übertretungen bekennen, mit denen die Israeliten sich versündigt haben, und soll sie dem Bock auf den Kopf legen und ihn durch einen bereitstehenden Mann in die Wüste treiben lassen. So soll der Bock alle ihre Verschuldungen auf sich in eine Wildnis wegtragen; und er soll ihn in der Wüste loslassen."

Im neuen Testament: Jesus Christus hat die Vollmacht, Schuld, Sünden zu vergeben. Vgl. Geschichte vom Gelähmten, der durch Dach zu Jesus herunter gelassen wird: "Deine Sünden sind dir vergeben." Reaktion: Niemand kann Sünden vergeben ausser Gott. Jesus hat göttliche Vollmacht, um Ungleichgewicht der Schuld in Gleichgewicht zu bringen. Jesus hat die Funktion des Sündenbocks übernommen: Er trägt die Schuld der Welt, hat sich selbst als Sündopfer für die Menschheit gegeben. Das ist das Zentrum des Evangeliums und des sogenannten neuen Bundes: Gott selber hat ein für allemal die mit der Freiheit unweigerlich verbundene Schuld auf sich genommen und uns dadurch erst richtig frei gemacht.

Bewusstsein für Schuld: Arbeitsloser machte nach Aussteuerung Schulden, wird nun ständig betrieben, hat "offene Rechnungen" im wahrsten Sinn des Wortes. Schulderlass als befreiende, erlösende Tat. "Per Saldo aller Ansprüche..."

Hier setzt das Unser Vater an: So wie Gott vergeben hat, sollen auch wir vergeben. Circulus vitiosus der Schuld durchbrechen durch Eigendynamik der Freiheit. So wie Gott uns durch Vergebung von unserer Schuld frei gemacht hat, sollen auch wir die Freiheit weiter verbreiten, indem wir andern ihre Schuld vergeben. Vergeben heisst, den andern freigeben und segnen.

Vergebung als Strategie im Umgang mit Schuld im Vergleich mit andern Schuldverarbeitungsstrategien:

Heutiger Umgang mit Schuld? Verschiedene Strategien:

- Umwertung: Schuld wird als Nichtschuld deklariert.

- Verdrängung: Schuld wird aus Bewusstsein ausgeblendet und kommt in Form psychischer Störungen wieder hoch.

- psychoanalytische Aufarbeitung: Bewusst machen des Verdrängten. Und dann?

- Vom neuen Testament vorgezeichneter Weg: Vergebung.

Vergebung: Anerkennen, dass Schuld Schuld ist. Aber dann: So wie Gott frei gemacht hat, so wollen auch wir freigeben.

Segen der Vergebung (oder anders gesagt: Nutzen, den wir aus Vergebung ziehen können):

- Ballast abwerfen. Vergangenheit Vergangenheit sein lassen.

- Beziehungen auf neue Basis stellen.

- Freiheit im Umgang mit andern Menschen

- Friede und Freundschaft statt Streit.

Vergebung ist die innerste und wesentlichste Berufung, die wir als Christen haben. Wie kann ich täglich das Unser Vater beten, und dann doch, wenn jemand sich mir gegenüber schmutzig verhalten hat, nicht vergeben?

Hindernisse für Vergebung?

- Gefühle: Hassgefühle, Rachegefühle können nicht überwunden werden. Frieden schliessen muss ich ja mit meinem Feind, nicht mit meinem Freund. Unmöglichkeit, das Freund-Feind-Schema zu überwinden.

- Gerechtigkeitsgefühl: Unrecht darf nicht ungestraft bleiben. Dem bösen Treiben muss ein Ende bereitet werden.

Was ist dazu zu sagen:

Gerechtigkeit: Frage des Amtes: Ist es meine Aufgabe, hier für Gerechtigkeit zu sorgen? Liegt Gerechtigkeit überhaupt in meiner Möglichkeit?

Gefühle: Jemand hat gesagt: Ich vergebe, aber ich kann nicht vergessen. Ist das Vergebung? Vergeben und vergessen, aber nicht verdrängen. Vergebung ist auch eine Frage der Haltung: Ich weiss, dass ich diese Gefühle nicht verdrängen kann, aber ich halte bewusst am Willen fest, zu vergeben und ich halte nicht nur am Willen fest, sondern ich habe auch vergeben.

Test, mit dem diese Haltung gemessen werden kann: Wie rede ich über die Person, der ich vergeben habe? Ich kann mir willentlich vornehmen, über diese Person nicht negativ zu reden. Ich kann mir bewusst vornehmen, immer dann, wenn ich mich über diese Person äussern muss, sie objektiv und ohne Untertöne zu behandeln und ihre Schuld wegzulassen. Und wenn dies nicht geht: auch ihre Stärken und Vorteile hervorheben.

Wege zur Vergebung: Ein Wort, das mir persönlich viel geholfen hat, neben der 5. Bitte des Vaterunser: Röm. 15,7: Nehmt einander an, wie Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes!

Sich gegenseitig annehmen als Vorstufe der Liebe, bzw. als Kern der Liebe? Ist weniger pathetisch: Annehmen: Jeden Menschen so betrachten, wie Gott ihn betrachtet, seine Stärken erkennen, wissen, was er kann und ist, seine Stärken fördern, mit seinen Schwächen umgehen lernen ohne zu Urteilen.

Wenn wir das täglich üben, sind wir dem Reich Gottes einen kleinen Schritt näher gekommen und ist es auf dieser Welt ein wenig heller geworden.

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